Schnee, Sturm & schlechtes Wetter – das gilt im Arbeitsrecht

Guido Kluck, LL.M. | 4. Dezember 2025

Wintersturm, geschlossene Straßen, ausgefallene Züge: Wenn das Wetter den Arbeitsweg zum Risiko macht, stehen viele Beschäftigte vor einer Frage, die auf den ersten Blick einfach klingt, juristisch aber anspruchsvoll ist: Habe ich bei Schnee „schneefrei“? Wer zahlt mein Gehalt, wenn ich nicht zur Arbeit komme? Und welche Pflichten treffen mich beziehungsweise meinen Arbeitgeber, wenn das Wetter uns handlungsunfähig macht? Dieser Beitrag gibt klare Antworten nach geltendem Arbeitsrecht, erklärt die einschlägige Rechtsprechung – insbesondere die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 8.9.1982, 5 AZR 283/80) – und zeigt praktische Lösungen für Arbeitnehmer, Selbstständige und kleine und mittlere Unternehmen.

Inhaltsangabe

Wegerisiko oder Betriebsrisiko: Die Grundbegriffe

Wer nicht zur Arbeit erscheint, stellt sich zunächst die Frage nach dem Fortbestand seines Lohnanspruchs. Das deutsche Arbeitsrecht unterscheidet zwei zentrale Risikobereiche: das Wegerisiko und das Betriebsrisiko. Das Wegerisiko bezeichnet die Gefahr, dass der Arbeitnehmer den Weg zur Arbeitsstätte nicht oder nicht rechtzeitig zurücklegt. Nach ständiger Rechtsprechung trägt der Arbeitnehmer dieses Risiko grundsätzlich selbst. Anders hingegen verhält es sich mit dem Betriebsrisiko: Schafft der Arbeitnehmer es zwar an den Ort, kann dort aber nicht arbeiten, weil zum Beispiel die Betriebseinrichtung ausfällt oder die betrieblichen Voraussetzungen witterungsbedingt entfallen, so trifft diese Unmöglichkeit den Arbeitgeber – der Vergütungsanspruch bleibt in der Regel bestehen.

Diese Zuordnung ist praktisch bedeutsam: Sie entscheidet darüber, ob entgangene Arbeitszeit bezahlt werden muss oder nicht. Für Beschäftigte bedeutet das: Ohne Arbeit kein Lohn, es sei denn, eine gesetzliche oder vertragliche Ausnahme greift oder der Ausfall ist dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers zuzurechnen.

Das BAG-Urteil (BAG, 8.9.1982, 5 AZR 283/80) – Sachverhalt, Entscheidung, Begründung

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 1982 (Aktenzeichen: 5 AZR 283/80) ist ein zentraler Bezugspunkt für die Frage, wer das Risiko trägt, wenn Arbeitnehmer wetterbedingt nicht rechtzeitig ihren Arbeitsplatz erreichen. Im entschiedenen Fall ging es um witterungsbedingte Straßenverhältnisse in Norddeutschland, die die Benutzung des eigenen Kraftfahrzeugs oder öffentlicher Verkehrsmittel stark beeinträchtigten. Das Gericht stellte klar, dass solche Verhältnisse das allgemeine Wegerisiko betreffen, das grundsätzlich vom Arbeitnehmer zu tragen sei.

Zur Begründung führte das BAG aus, dass es sich nicht um einen persönlichen Leistungshindernisgrund in der Sphäre des einzelnen Arbeitnehmers handele, sondern um eine Verkehrslage, die alle betroffenen Arbeitnehmer gleichermaßen betreffe. Die Folge: Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, die Vergütung für die Arbeitszeit fortzuzahlen, die nicht erbracht wurde, weil der Arbeitnehmer nicht rechtzeitig an der Arbeitsstelle erschienen sei. Das Gericht präzisierte, dass nur in Ausnahmefällen – etwa wenn besondere persönliche Verhältnisse vorliegen oder tarifliche bzw. betriebliche Regelungen etwas anderes bestimmen – von dieser Grundregel abgewichen werden könne.

Das Urteil verdeutlicht die rechtliche Leitlinie: Naturgewalten, die die Anreise erschweren, sind dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen und begründen allein noch keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Damit ist das BAG-Urteil (BAG, 8.9.1982, 5 AZR 283/80) ein wichtiger Präzedenzfall für vergleichbare Rechtsfragen in der Praxis.

Lohnanspruch bei wetterbedingtem Nichterscheinen

Aus dem Wegerisiko folgt der Grundsatz: Erscheint der Arbeitnehmer wegen widriger Witterungsbedingungen nicht oder verspätet zur Arbeit, besteht regelmäßig kein Anspruch auf Vergütung für die versäumte Zeit. Arbeitgeber dürfen deshalb Lohn kürzen, wenn der Arbeitseinsatz nicht erbracht wird. Ausnahmen ergeben sich nur, wenn eine Rechtsnorm, ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung etwas anderes vorsieht, oder wenn der Ausfall dem Arbeitgeber zuzurechnen ist.

Von praktischer Bedeutung sind vor allem folgende Fallgruppen: Erstens: Der Arbeitnehmer kann den Arbeitsweg nicht antreten, weil Verkehrsinfrastruktur ausgefallen ist – hier bleibt der Lohnanspruch in der Regel aus. Zweitens: Der Arbeitnehmer erreicht den Betrieb, dieser kann jedoch aus betrieblichen Gründen die Arbeit nicht ermöglichen – in dieser Konstellation greift das Betriebsrisiko des Arbeitgebers und die Vergütung ist weiterzuzahlen. Drittens: Persönliche Gründe beim Arbeitnehmer (z. B. plötzliche familiäre Ereignisse) können unter Umständen einen Entgeltfortzahlungsanspruch begründen, wenn sie der persönlichen Sphäre zuzuordnen sind (§ 616 BGB).

Für Unternehmen bedeutet dies: Klare interne Regelungen helfen, Unsicherheiten zu vermeiden. Arbeitgeber sollten in Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen festlegen, wie bei wetterbedingten Ausfällen zu verfahren ist. Für Beschäftigte gilt: Frühzeitige Information des Arbeitgebers und das Aufzeigen möglicher Alternativen (etwa Homeoffice, späteres Nachholen der Zeit oder Überstundenausgleich) vermindern das Risiko arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen.

Ausnahme: § 616 BGB und persönliche Leistungshindernisse

Eine zentrale Ausnahme zum Wegerisiko ist in § 616 BGB geregelt. Danach bleibt der Anspruch auf Vergütung bestehen, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit ohne eigenes Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert ist, weil ein in seiner Person liegender Grund vorliegt. Typische Beispiele sind kurzfristig auftretende familiäre Verpflichtungen, etwa ein Krankenhausaufenthalt eines nahen Angehörigen, oder sonstige unabweisbare Gründe.

Wichtig ist: § 616 BGB greift nicht automatisch. Viele Arbeitsverträge oder Tarifverträge schließen die Anwendung von § 616 BGB ausdrücklich aus. Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich zeitlich eng zu verstehen: Die Verhinderung muss in der Regel nur vorübergehend und zeitlich begrenzt sein. Bei längerfristiger Verhinderung greifen hingegen andere gesetzliche Regelungen – etwa Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Anspruch auf Sonderurlaub nach gesetzlicher oder vertraglicher Regelung.

Im Kontext von Schnee und Sturm kann § 616 BGB nur in Ausnahmefällen eine Lohnfortzahlung rechtfertigen, etwa dann, wenn aufgrund der Wetterlage überraschend und ohne alternative Betreuungsmöglichkeit die Betreuung minderjähriger Kinder übernommen werden muss und keine andere Lösung möglich ist. Ob dies greift, ist stets einzelfallabhängig und sollte im Zweifel rechtlich geprüft werden.

Homeoffice, Remote Work und Vereinbarungen zur flexiblen Arbeit

Homeoffice kann bei extremen Wetterbedingungen ein pragmatisches Mittel sein, um Arbeit aus der Ferne zu erbringen. Rechtlich besteht jedoch kein allgemeiner Anspruch auf Homeoffice; es handelt sich in der Regel um eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – sei es im Arbeitsvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder im individuellen Konsens. Arbeitgeber sind grundsätzlich nicht verpflichtet, Homeoffice anzubieten, und Arbeitnehmer können nicht einseitig von zu Hause arbeiten, sofern dies nicht vertraglich vereinbart ist.

Für kleine und mittlere Unternehmen, Solo-Selbständige und Beschäftigte ist es aus betrieblicher Sicht sinnvoll, klare Regeln für wetterbedingte Arbeitssituationen zu schaffen: Sind Tätigkeiten grundsätzlich im Homeoffice möglich? Unter welchen technischen Voraussetzungen? Wie ist die Erreichbarkeit geregelt? Solche Vereinbarungen vermeiden Unsicherheiten an Tagen mit Wetterextremen und schützen das betriebliche Fortbestehen ebenso wie die Interessen der Beschäftigten.

Abmahnung und Kündigung: Wann drohen arbeitsrechtliche Sanktionen?

Immer wieder stellt sich die Frage, ob verspätete oder wetterbedingt fehlende Arbeitsleistung zu Abmahnungen oder gar Kündigungen führen kann. Grundsätzlich setzt eine Abmahnung ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers voraus. Bei kurzfristigem, unverschuldetem Nichterscheinen infolge eines Unwetters kommt daher eine Abmahnung in der Regel nicht in Betracht. Eine Kündigung wegen einzelner wetterbedingter Fehlzeiten ist deshalb in der Regel unbegründet.

Anders kann die Lage aussehen, wenn ein Arbeitnehmer dauerhaft oder wiederholt ohne ausreichende Bemühungen zu spät kommt oder die Arbeitsverpflichtung verletzt. Wenn bei anhaltenden schlechten Witterungsverhältnissen erkennbar ist, dass weitere Anfahrtsprobleme drohen, wird von Arbeitnehmern erwartet, zumutbare Alternativen in Betracht zu ziehen (früheres Aufstehen, Nutzung anderer Verkehrsmittel, in zumutbarem Umfang Umwege). Unterbleibt dies dauerhaft, kann eine Abmahnung gerechtfertigt sein und im Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Unfall auf dem Weg zur Arbeit – Versicherungsschutz und Grenzen

Ein weiterer praktischer Aspekt sind Unfälle auf dem Weg zur Arbeit. Nach den gesetzlichen Regelungen und der Praxis der gesetzlichen Unfallversicherung gelten Unfälle auf dem direkten Weg von und zur Arbeitsstätte grundsätzlich als Wegeunfälle. Das bedeutet für den Beschäftigten: Heilbehandlungskosten, ggf. Entschädigungsleistungen und Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung.

Problematisch sind Umwege oder Zwischenstopps. Wer aus privaten Gründen vom direkten Weg abweicht und dabei verunglückt, hat keinen Versicherungsschutz. Umgekehrt sind wetterbedingte Umwege anerkannt, wenn sie nötig sind, weil der übliche Weg unpassierbar wäre. Bei erheblichen Umwegen ist stets der Einzelfall zu prüfen. In Zweifelsfällen sind Unfallmeldungen an die zuständige Berufsgenossenschaft bzw. Unfallkasse ratsam, damit der Versicherungsschutz geklärt werden kann.

Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer und Unternehmen

Fall 1: Arbeitnehmer kommt wegen geschlossener Bahnstrecke nicht zur Arbeit. Ergebnis: Kein Lohnanspruch, da Wegerisiko; Arbeitgeber darf Gehalt für die nicht geleistete Zeit einbehalten. Empfehlung: Frühzeitige Meldung, Nachholmöglichkeiten, Prüfung betrieblicher Regelungen.

Fall 2: Arbeitnehmer erscheint, Maschine im Betrieb fällt aus, Arbeit kann nicht aufgenommen werden. Ergebnis: Betriebsrisiko des Arbeitgebers, Vergütung bleibt geschuldet. Empfehlung: Arbeitgeber schafft interne Krisenpläne, Information der Mitarbeiter, ggf. Homeoffice prüfen.

Fall 3: Kindertagesstätte bleibt wegen Unwetter geschlossen; alle Betreuungslösungen entfallen kurzfristig. Ergebnis: Unter bestimmten Voraussetzungen greift § 616 BGB; Anspruch auf Vergütung kann bestehen, wenn keine anderweitige Betreuung möglich ist und vertragliche Ausschlüsse nicht greifen. Empfehlung: Arbeitgeber frühzeitig informieren, individuelle Regelung suchen (z. B. Sonderurlaub, Homeoffice, Nacharbeit).

Fall 4: Arbeitnehmer wiederholt zu spät, obwohl Alternativen verfügbar sind. Ergebnis: Abmahnung und im Wiederholungsfall Kündigung möglich. Empfehlung: Dokumentieren, wie man sich bemüht hat, pünktlich zu erscheinen; Arbeitgeber kontaktieren und nach flexiblen Lösungen suchen.

Praktische Checkliste: Was jetzt zu tun ist

Informieren Sie Ihren Arbeitgeber so früh wie möglich über erwartete Verzögerungen oder das Nichterscheinen. Prüfen Sie Ihren Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder bestehende Betriebsvereinbarungen auf Sonderregelungen zu wetterbedingten Ausfällen. Klären Sie, ob Homeoffice technisch und vertraglich möglich ist und schaffen Sie bei Bedarf verbindliche Vereinbarungen. Wenn Kinderbetreuung betroffen ist, prüfen Sie, ob § 616 BGB anwendbar ist oder ob betriebliche Lösungen gefunden werden können. Dokumentieren Sie Ihre Bemühungen, die Arbeitsstätte zu erreichen (Fahrplanausfälle, Sperrungen, Wetterwarnungen), um im Streitfall Ihr Verhalten nachweisen zu können. Erarbeiten Sie als Unternehmen klare Regeln für wetterbedingte Betriebsstörungen und informieren Sie Ihre Beschäftigten frühzeitig.

Fazit und rechtliche Konsequenzen

Die arbeitsrechtliche Behandlung von Schnee, Sturm und schlechtem Wetter folgt klaren rechtlichen Grundsätzen: Das Wegerisiko liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer, während betriebliche Störungen dem Arbeitgeber zuzurechnen sind. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere das Urteil vom 8. September 1982 (BAG, 5 AZR 283/80), bekräftigt diese Trennung und dient als wichtige Orientierung für die Praxis. Ausnahmen von dieser Leitlinie bestehen, wenn persönliche Leistungshindernisse vorliegen (§ 616 BGB), tarifliche oder betriebliche Regelungen entgegenstehen oder der Arbeitgeber durch die Störung selbst verpflichtet ist, Vergütung zu leisten.

Für Beschäftigte heißt das: Informieren Sie frühzeitig, zeigen Sie zumutbare Alternativen auf und dokumentieren Sie Ihre Bemühungen. Für Arbeitgeber lautet die praktische Konsequenz: Schaffen Sie klare, faire und eindeutige Regelungen für wetterbedingte Ausfälle, prüfen Sie Homeoffice-Möglichkeiten und kommunizieren Sie transparent mit Ihrem Team, um Arbeitsausfälle und Konflikte zu vermeiden.

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Schlussfolgerung

Schnee, Sturm und schlechtes Wetter stellen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor wiederkehrende Herausforderungen. Die rechtliche Einordnung ist klar: Das Risiko, nicht oder nicht rechtzeitig zur Arbeit zu gelangen, liegt in der Regel beim Arbeitnehmer; das Risiko, die Arbeit bereitzustellen, liegt beim Arbeitgeber. Das BAG-Urteil (BAG, 8.9.1982, 5 AZR 283/80) hat diese Trennung früh bestätigt. Für die Praxis empfiehlt sich vorausschauendes Handeln: klare vertragliche Regelungen, abgestimmte Homeoffice-Konzepte und eine transparente Kommunikationskultur mindern mögliche Konflikte und schützen beide Seiten.

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Guido Kluck, LL.M.

Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).

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