Facebook wieder vor dem EuGH
Die zweite Runde ist eröffnet: Wieder muss sich Facebook zum Thema […]
Viele Menschen kennen die Situation: Eine prägende, aber längst bezahlte Forderung steht weiterhin in der SCHUFA‑Auskunft und verhindert Vertragsabschlüsse, Bankprodukte oder sogar einen Mietvertrag. Das Oberlandesgericht Köln (Az. 15 U 249/24) hat in einer richtungsweisenden Entscheidung vom 10. April 2025 dieser Praxis eine klare Grenze gesetzt. In diesem Beitrag erklären wir, worum es im konkreten Rechtsstreit ging, welche rechtlichen Maßstäbe die Richter angewendet haben, welche Folgen das Urteil praktisch hat und welche konkreten Schritte Betroffene sowie Unternehmen jetzt unternehmen sollten. Lesen Sie weiter, wenn Sie wissen wollen, wie Sie unberechtigte Speicherungen anfechten, Löschung erzwingen und gegebenenfalls Schadensersatz geltend machen können.
Die jahrelang verbreitete Praxis vieler Wirtschaftsauskunfteien, erledigte Negativ‑Einträge pauschal über drei Jahre aufzubewahren, hat in der Praxis erhebliche negative Folgen für Betroffene. Selbst wenn ein Schuldner eine offene Forderung vollständig beglichen hat, verbleibt der Vermerk bei der Auskunftei oft über lange Zeit und beeinflusst Scorewerte und Auskunftsergebnisse. Die Folge sind abgelehnte Kreditanfragen, Probleme beim Abschluss von Mietverträgen oder Mobilfunkverträgen und eingeschränkte wirtschaftliche Teilhabe. Betroffene berichten von frustrierenden Situationen: eine beglichene Handyrechnung, die dennoch zu Absagen bei Wohnungsbewerbungen führt, oder ein früherer Zahlungsausfall, der noch Jahre später die Bonität negativ färbt. Diese ‚Nachwirkung‘ beglichener Forderungen wirkt wie ein gesellschaftlicher Makel – und sie wirft die zentrale Frage auf: Rechtfertigt ein erledigter Eintrag weitergehende Speicherfristen trotz Bezahlung?
Die Beurteilung, wie lange Daten gespeichert werden dürfen, richtet sich in Europa maßgeblich nach der Datenschutz‑Grundverordnung (DSGVO). Sie enthält zentrale Prinzipien wie Datenminimierung und Speicherbegrenzung, die besagen, dass personenbezogene Daten nur so lange aufzubewahren sind, wie dies für den Verarbeitungszweck erforderlich ist. Fehlt ein gesetzlicher Löschzeitraum für bestimmte Datenkategorien, ist die Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO entscheidend: Das berechtigte Interesse der verantwortlichen Stelle ist gegen die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person abzuwägen. Parallel dazu existieren in der Zivilprozessordnung (ZPO) klare staatliche Wertungen: § 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO regelt, dass Einträge im öffentlichen Schuldnerverzeichnis zu löschen sind, sobald die vollständige Befriedigung des Gläubigers nachgewiesen ist. Der Gesetzgeber hat damit eine klare Rechtsentscheidung getroffen: Bezahlt ist bezahlt; die weitergehende Speicherung durch staatliche Register ist nicht vorgesehen.
Auf europäischer Ebene hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ergänzend klargestellt, dass private Auskunfteien keine längeren Speicherfristen ansetzen dürfen als staatliche Register. In einem richtungsweisenden EuGH‑Verfahren wurde entschieden, dass Informationen aus öffentlichen Insolvenzregistern nicht über die im öffentlichen Register vorgesehenen Zeiträume hinaus gespeichert werden dürfen. Die damit verbundene Wertung des Gesetzgebers zielt auf eine Rehabilitierung der Betroffenen und auf die Vermeidung einer dauerhaften Stigmatisierung. Vor diesem rechtlichen Hintergrund entstanden brancheninterne Verhaltensregeln und Codices, die Löschfristen für Auskunfteien normieren sollten. Diese Selbstregulierung mündete Anfang 2025 in einer neuen branchenspezifischen Regelung mit einer 100‑Tage‑Regel und verknüpfter 18‑Monats‑Option. Dennoch blieben öffentliche und private Fristen bis vor Kurzem in der Praxis widersprüchlich und für Betroffene oft undurchsichtig.
Im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln (Az. 15 U 249/24) stand die Frage im Mittelpunkt, ob eine private Wirtschaftsauskunftei berechtigt war, Informationen über drei unbestrittene Forderungen mehrere Jahre über deren Erledigung hinaus zu speichern und Dritten in Form von Scorewerten zur Verfügung zu stellen. Die betroffenen Forderungen waren gestaffelt: eine Forderung war im Dezember 2020 beglichen, eine weitere im November 2021 und die dritte im Dezember 2022. Die Auskunftei hielt die Einträge jedoch weiterhin in ihrer Datenbank und übermittelte Scorewerte an Vertragspartner, die die negative Vorgeschichte in die Bonitätsbewertung einfließen ließen. Der Kläger begehrte die Löschung der betreffenden Einträge sowie einen immateriellen Schadensersatz in einer bestimmten Höhe. Zwar löschte die Auskunftei während des Verfahrens einen Teil der Einträge nach Ablauf der üblichen drei Jahre und einen weiteren Eintrag im Zusammenhang mit einer neuen branchenspezifischen 18‑Monats‑Regelung; die Frage blieb jedoch, ob die ursprüngliche Speicherung bis zu den jeweiligen Löschzeitpunkten rechtmäßig war und ob dem Betroffenen ein Schadenersatzanspruch zusteht.
Das OLG Köln sprach dem Kläger schließlich in wesentlichen Punkten Recht zu. Im Kern stellte das Gericht fest, dass die fortdauernde Speicherung erledigter Negativ‑Einträge rechtswidrig war, weil die Voraussetzungen der Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO entfielen, sobald die vollständige Befriedigung des Gläubigers nachgewiesen war. Das Gericht orientierte sich ausdrücklich an der gesetzlichen Wertung des § 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO und an der Rechtsprechung des EuGH. Die Richter begründeten, dass eine private Auskunftei nicht berechtigt ist, Informationen länger zu speichern als ein vergleichbares öffentliches Register, wenn dadurch die Rehabilitierung der betroffenen Person ausgeschlossen oder erschwert wird. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt nach Zahlung zugunsten des Verbrauchers aus: Sein Rehabilitationsinteresse überwiegt das Informationsinteresse der Kreditwirtschaft, sobald die Forderung beglichen ist.
Weiterführend stellte das Gericht fest, dass genehmigte Verhaltensregeln der Branche die Anwendung des übergeordneten Datenschutzrechts nicht aushebeln können. Selbst wenn ein Verhaltenskodex eine längere Speicherdauer vorsieht, darf dies nicht die Anwendung der DSGVO unterlaufen. Auch empirische Statistiken der Auskunftei, die eine längerfristige Prognosewirkung negieren würden, vermochten das Gericht nicht zu überzeugen: Eine interne statistische Rechtfertigung kann nicht die gesetzliche Wertung und die Vorgaben der DSGVO außer Kraft setzen.
Ein besonders beachtlicher Aspekt des OLG Köln‑Urteils ist die Anerkennung eines immateriellen Schadensersatzes. Das Gericht sprach dem Kläger einen Betrag von 500 Euro zu. Diese Entscheidung hat Signalwirkung: Sie bestätigt, dass die überlange Speicherung erledigter Einträge nicht nur ein formales Datenschutzproblem ist, sondern reale reputations‑ und teilhabebegrenzende Folgen haben kann, die einen finanziellen Ausgleich rechtfertigen. Die rechtliche Grundlage hierfür liefert Art. 82 DSGVO, der einen Anspruch auf Ersatz sowohl materieller als auch immaterieller Schäden bei Verstößen gegen die Datenschutzvorgaben vorsieht.
Dabei betonten die Richter, dass ein konkreter wirtschaftlicher Nachweis nicht in jedem Fall erforderlich ist. Die Weitergabe negativer Scorewerte an Vertragspartner – unabhängig davon, ob sie unmittelbar zu einem abgelehnten Vertrag geführt hat – kann bereits eine Rufschädigung darstellen. Damit werden Betroffene grundsätzlich gestärkt: Eine beglichene Forderung, die dennoch langfristig gespeichert und verbreitet worden ist, kann einen immateriellen Anspruch auf Ausgleich begründen.
Die praktische Tragweite des OLG‑Urteils lässt sich nicht hoch genug einschätzen. Für Verbraucher bedeutet es einen erheblichen Zugewinn an Durchsetzungsmacht: Wer seine Schulden vollständig beglichen hat, kann die sofortige Löschung verlangen und notfalls mit Unterstützung einer Datenschutzaufsicht oder einem gerichtlichen Vorgehen durchsetzen. Die Entscheidung schafft eine solide rechtliche Grundlage, um Löschanträge mit Verweis auf Art. 17 und Art. 21 DSGVO und das OLG‑Urteil (Az. 15 U 249/24) zu untermauern.
Für Auskunfteien wie die SCHUFA heißt das Signal: Überprüfen Sie Ihre Löschprozesse, passen Sie die internen Regeln an und setzen Sie klare, dokumentierte Verfahren um, die Löschungen unmittelbar nach Vorlage eines Zahlungsnachweises automatisiert auslösen. Andernfalls drohen sowohl behördliche Maßnahmen als auch gerichtliche Entscheidungen mit Schadensersatzansprüchen.
Für Vertragspartner – Banken, Vermieter, Telekommunikationsunternehmen, Energieversorger und Händler – bedeutet die Entscheidung, dass sie ihre automatisierten Bonitätsentscheidungen überdenken müssen. Ein Score, der auf erledigten Einträgen basiert, kann rechtlich angreifbar sein und zu Haftungsrisiken führen. Praktisch heißt das: Bewertungsalgorithmen sollten zwischen aktiven und beendeten Risiken sauber trennen. Zudem sollten Geschäftspartner der Auskunfteien in Verträgen klare Zusagen zur Löschung von erledigten Einträgen verlangen.
Betroffene sollten strukturiert vorgehen. Zunächst empfiehlt sich die Einholung einer aktuellen Selbstauskunft, um den konkreten Eintrag zu dokumentieren. Wenn ein Eintrag als „erledigt“ gekennzeichnet ist, legen Sie den Zahlungsnachweis (z. B. Kontoauszug, Bestätigung des Gläubigers) vor und stellen Sie einen schriftlichen Löschungsantrag bei der Auskunftei. Verweisen Sie in diesem Antrag auf Art. 17 DSGVO (Recht auf Löschung) und Art. 21 DSGVO (Widerspruch), auf die gesetzliche Wertung des § 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO und auf das OLG Köln‑Urteil (Az. 15 U 249/24). Setzen Sie eine angemessene Frist zur Erledigung (etwa zwei bis drei Wochen) und fordern Sie eine schriftliche Bestätigung der Löschung.
Reagiert die Auskunftei nicht oder lehnt sie ab, ist die nächste Stufe das Beschwerdeverfahren bei der zuständigen Landesdatenschutzbehörde. Parallel kann die Einschaltung spezialisierter Unterstützung sinnvoll sein, um den Anspruch auf Löschung und gegebenenfalls Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO durchzusetzen. Dokumentieren Sie jeden Schritt sorgfältig: Schriftwechsel, Fristen, eingereichte Zahlungsnachweise und etwaige Absagen oder negative Entscheidungen, zu denen der Eintrag geführt hat (z. B. Ablehnung eines Mietvertrags, Kreditabsage). Diese Dokumentation ist die Grundlage für mögliche Schadensersatzforderungen.
Wichtig ist: Das OLG‑Urteil vom 10. April 2025 ist ein starker Präzedenzfall, aber es ist noch nicht endgültig, solange der Bundesgerichtshof (BGH) nicht abschließend entschieden hat. Die Auskunftei hat im Urteil die Möglichkeit der Revision erhalten. Bis eine höchstrichterliche Klärung vorliegt, wird die Rechtsprechung voraussichtlich uneinheitlich bleiben. Dennoch zeichnen sich klare Trends ab: Europäische Vorgaben und die jüngste Rechtsprechung stärken die Rehabilitierungsperspektive von Verbrauchern und beschränken private Pauschalfristen.
Für die Praxis bedeutet das, dass zwischen sofortiger Umsetzung von Löschprozessen und einer vorsichtigen Beobachtung der Reaktionen des Revisionsgerichts abgewogen werden muss. Verantwortliche Unternehmen tun gut daran, proaktiv Compliance‑Maßnahmen umzusetzen, da das Risiko gerichtlicher Schadenersatzansprüche und behördlicher Beanstandungen steigt.
Das Urteil des OLG Köln (Az. 15 U 249/24) markiert einen Wendepunkt im Umgang mit erledigten Negativ‑Einträgen durch private Wirtschaftsauskunfteien. Die Richter haben die Bedeutung der DSGVO‑Prinzipien, die gesetzliche Wertung des § 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO und die EuGH‑Leitsätze zusammengeführt und damit klargestellt: Pauschale Drei‑Jahres‑Fristen stehen nicht über den Rechten der Betroffenen. Sobald die vollständige Befriedigung des Gläubigers nachgewiesen ist, entfällt der Speicherzweck und die Daten sind zu löschen. Die Anerkennung eines immateriellen Schadensersatzes (500 Euro im entschiedenen Fall) unterstreicht die reale Betroffenheit Einzelner. Verbrauchern eröffnet dies Handlungsoptionen; Auskunfteien und ihre Vertragspartner müssen ihre Prozesse und Rechtsbegründungen dringend nachschärfen.
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Rechtsanwalt Guido Kluck LL.M. ist Partner der Kanzlei LEGAL SMART am Standort Berlin. Er ist Ansprechpartner für das Recht der neuen Medien sowie für die Bereiche Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Vertragsrecht und das Datenschutzrecht (DSGVO).
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